Der Planet Erde mit seinen begrenzten Ressourcen verträgt auf Dauer kein unbegrenztes Wirtschaftswachstum. Davor warnt die aktuelle wachstumskritische Bewegung, die allerdings noch am Anfang steht. Es fehlt auch an einer schlüssigen Strategie, wie das Wachstumsparadigma überwunden werden kann.
Damit die Zukunftsdebatte um das Wirtschaftswachstum gesellschaftlich relevant wird, hat das denkhausbremen-Projekt “Dialog Degrowth” eine Plattform zur Vernetzung für die großen deutschen Umweltverbände und die Degrowth-Bewegung geschaffen. Dabei wurde deutlich, dass die Umweltverbände einen wichtigen Beitrag leisten können, damit Alternativen zum Wachstum wirkmächtig werden.
Unser Konsum überfordert uns.

Niko Paech
Volkswirt und Wachstumskritiker
Die Degrowth-Debatte
Wirtschaftswachstum erschöpft unseren Planeten
Eine auf permanentes Wachstum programmierte Wirtschaft sprengt unsere planetarischen Grenzen. Die dramatischen Folgen sind bereits mit dem Klimawandel sowie dem massiven Verlust der Biodiversität erkennbar. Darüber hinaus werden Rohstoffe und fruchtbare Böden immer knapper und der Druck auf Wälder und andere Ökosysteme nimmt weltweit zu. Trotzdem setzen Wirtschaft und Politik unbeirrbar auf ungebremstes Wachstum, das mit Umweltzerstörung und weiterer Ausbeutung der natürlichen Ressourcen erkauft wird.
Turbo-Konsum ist sinnfrei!
Dieses Wachstum findet auch für unseren Konsum statt und Wohlstandsbürger kommen zu Fragen wie: Lohnt es sich, für ein drittes iPad Überstunden zu kloppen? Wäre es nicht sinnstiftender gewesen, mehr Zeit mit Freunden und Kindern zu verbringen? Diese Fragen können sich nur Menschen stellen, die einen gut bezahlten Job haben. Für Hartz4-Empfänger ist das kein Thema. Kritiker sehen in der Degrowth-Debatte daher elitäre Züge.
In der gesättigten Mittelschicht zweifeln jedoch immer mehr Menschen daran, ob grenzenloser Konsum dem Leben einen vernünftigen Sinn gibt. Glücksforschung und Ratgeber für die Entschleunigung setzen hier an und bearbeiten diesen Markt. Trotzdem stürzen sich täglich weiterhin viele Menschen, die schon fast alles haben, ins Hamsterrad von Arbeit und Konsum. Ihnen fehlt häufig auch das Beispiel eines alternativen Lebensentwurfs, mit dem sie sich identifizieren können.
Unsere Sozialsysteme bauen auf Wachstum auf.

Angelika Zahrnt
Ehrenvorsitzende des BUND
Die Degrowth-Bewegung eröffnet neue Horizonte
Die etablierte politische Linke hat bisher noch keine überzeugenden Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit gefunden. Vielleicht reichen die alten Konzepte aus den 70er Jahren, wie ein umverteilender Sozialstaat, für die Zukunft nicht mehr aus. Gesellschaftliche Verteilungskonflikte werden dagegen erfolgreich von rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien aufgegriffen. Die Degrowth-Bewegung erweitert den Horizont um neue Ansätze: Hier stehen Themen wie Grundeinkommen, Gemeineigentum oder radikale Arbeitszeitverkürzung auf der Agenda.
Die aktuelle Postwachstums-Bewegung will dazu ein Wirtschaften entwickeln und umsetzen, das die ökologischen Lebensgrundlagen erhält und ein Zusammenleben ohne Wachstumszwang ermöglicht. Dafür wird ein umfassender kultureller Wandel für notwendig erachtet. In den Industriestaaten des globalen Nordens muss dafür die Produktion und der Konsum deutlich verringert werden. Hier setzt die Degrowth-Bewegung an und möchte Zukunftslabore für ein “gutes Leben” anbieten, die zum Mit- und Nachmachen anregen. Die Grundwerte der Degrowth-Bewegung bauen auf Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation.
Geht es nicht im Kern um soziale Gerechtigkeit?
Die Beschäftigung mit Alternativen zum Wirtschaftswachstum führt unausweichlich auch zur Debatte über unser kapitalistisches Wirtschaftssystem. Bislang scheitert es daran, für mehr Ausgleich und Gerechtigkeit zu sorgen. Demzufolge geht es bei einem möglichen Umbau unseres Wirtschaftssystems in erster Linie um mehr Gerechtigkeit auf den verschiedensten Ebenen. Bisher steht die Verteilungsfrage nicht im Fokus der aktuellen Degrowth-Debatte.
Die soziale Gerechtigkeit befindet sich ohnehin in der Defensive; im Ergebnis geht die Einkommensverteilung immer weiter auseinander. Gewerkschaften, Linke und Wohlfahrtsverbände versuchen mühsam, die schlimmsten Verwerfungen aufzufangen und die Lebensbedingungen wieder gerechter zu gestalten. Darüber hinaus werden Verteilungsfragen bei gesellschaftlichen Debatten, wie auch bei Degrowth, oftmals nicht als solche benannt: Ist z.B. Klimagerechtigkeit im Grunde nicht ein verniedlichendes Wort für radikale Kapitalismuskritik?
Umweltverbände und Degrowth
Wachstumskritik hat bei Umweltverbänden Tradition
Die aktuelle Wachstumskritik ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern hat eine längere Vorgeschichte. Bereits in den 1970er Jahren veröffentlichte der Club of Rome seine Studie “Grenzen des Wachstums”. Seit damals diskutieren auch Umweltverbände wie Greenpeace, BUND oder Naturfreunde grundsätzliche Fragen zum Wirtschaftssystem. Für viele Aktive war in der damaligen Zeit das Engagement für eine saubere Umwelt gleichzeitig auch eine Art Kapitalismuskritik. Selbst beim NABU-Vorgänger “Bund für Vogelschutz”, dessen Wurzeln eher im bürgerlich-konservativen Milieu verankert waren, sind seitdem die planetarischen Grenzen durchaus ein Thema.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Umweltschutz als gesellschaftspolitisches Thema in den 70er Jahren über die Wahrnehmungsschwelle geschafft hat. Im Anschluss daran wurde das Konzept der Nachhaltigkeit 1983 von der Brundtland-Kommission in die jüngere politische Debatte eingebracht und 1992 durch den Umweltgipfel in Rio populär gemacht. Damit verbunden war, dass wirtschaftskritische Stimmen leiser wurden und sich Umweltschützer zunehmend auch mit der Industrie an den Verhandlungstisch gesetzt haben.
Die Debatte um Grenzen des Wachstums müssen wir führen.

Olaf Tschimpke
Präsident des NABU
Umweltverbände und Degrowth aktuell
Die wachstumskritische Debatte hat aktuell wieder an Fahrt gewonnen und beeinflusst auch die Agenda der Umweltverbände, die folgerichtig einen mehr oder weniger radikalen Kurswechsel fordern. Der BUND überlegt, wie eine sozialökologische Transformation in zentralen Politikfeldern wie Mobilität gelingen kann. Greenpeace legt eine Gemeinwohlbilanz vor und der NABU kritisiert, dass Forschungsgelder in erster Linie einer expansiven Profit-Ökonomie zugutekommen. Auch der WWF mahnt, nicht jeden Winkel der Erde zu ökonomisieren. Nach Ansicht der Umweltverbände sind in Bezug auf den Klimawandel oder den Verlust der biologischen Vielfalt die Grenzen des Wachstums schon heute erreicht oder überschritten.
Darüber hinaus beobachten etablierte Verbände die wachstumskritische Debatte sehr genau. Letztendlich läßt sich nicht genau sagen, wo die Grenzen zwischen Umweltverbänden und wachstumskritischer Bewegung genau liegen. In der Praxis gibt es viele inhaltliche Übereinstimmungen, wie zum Beispiel bei den „Ende-Gelände“-Protesten. Dort werden ökologische Forderungen nach einem sofortigen Braunkohleausstieg für den Klimaschutz mit wachstumskritischen Positionen verknüpft.
Umweltverbände sind erfolgreich
Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die großen Umweltverbände wie BUND, Greenpeace, NABU, Naturfreunde und WWF überaus erfolgreich im gesellschaftlichen Mainstream angekommen sind. Sie versammeln mehr Mitglieder hinter sich als die sogenannten Volksparteien SPD und CDU und gehören bei internationalen Konferenzen wie UN-Klimagipfeln mittlerweile zum Inventar. Vielleicht trübt diese Strategie auch den Blick für die grundsätzliche Systemfrage. Je intensiver die Umweltbewegung sich auf einen Dialog mit den Mächtigen der Erde einlässt, desto weniger ausgeprägt ist der Wille, unser expansives Wirtschaftssystem im Grundsatz in Frage zu stellen. Das ist auch von den Umweltverbänden als offene Flanke erkannt worden, verbunden mit dem Bedürfnis, die eigene Strategie nachzujustieren und neue Bündnispartner einzubinden. Die Bewegung sucht deshalb verstärkt den Austausch mit Sozialverbänden, Gewerkschaften und wachstumskritischen Akteuren.
Der Dialog Degrowth
Für diese notwendigen Debatten ist das Projekt “Dialog Degrowth” initiiert worden, damit eine Diskussion zwischen wachstumskritischen Kräften und den klassischen Umweltverbänden zu konkreten Ergebnissen führt. Dieser Dialog kann zum Vorteil beider Seiten sein. Degrowth ist für die etablierten Verbände eine Chance, Themen wie CO2-Emissionen, Artenschwund und Flächenverbrauch zu adressieren, wo durchschlagende Erfolge bislang ausgeblieben sind. Darüber hinaus können mit dieser Debatte viele junge Menschen erreicht werden. Die wachstumskritischen Akteure können von den Verbänden lernen, wie ihre bislang stark akademisch geprägten Ideen in die Praxis gebracht werden können.
Aus dem Rendezvous mit der Wachstumskritik ergeben sich für die Verbände auch Zielkonflikte. Deren Unterstützer*innen kommen in der Regel aus besser verdienenden Schichten der Gesellschaft mit einem entsprechenden CO2-Rucksack, der sich fast zwangsläufig aus einem gehobenen Lebensstil ergibt. Gerade diesem Personenkreis verlangt Degrowth aber eine große Änderungsbereitschaft ab. Letztlich hat der Dialog Degrowth aber gezeigt, dass Aspekte der Degrowth-Debatte das Spektrum der Umweltverbände sinnvoll ergänzen. Diese können dazu beitragen, das die politischen Rahmenbedingungen für eine sozial ökologische Transformation gesetzt werden.
Wir müssen strategisch wichtige Unternehmen transformieren.

Christoph Heinrich
Vorstand im WWF Deutschland
Ausblick in die Zukunft
Unsere Gesellschaft könnte auf der persönlichen Ebene mit einem regionalen Fokus in Richtung Degrowth transformiert werden. In der Folge entstehen vor Ort zunehmend Initiativen wie Repair-Cafés, Car-Sharing-Modelle, Tauschbörsen und Gemeinschaftsgärten, die einen Lebensstil des Einzelnen jenseits des ungebremsten Konsums ermöglichen. Umweltverbände mit einer starken Verankerung auf der lokalen Ebene, wie NABU und BUND, unterstützen diese Initiativen. Einige denken diesen Ansatz weiter und erwarten, dass die regionalen Beispiele als Zukunftslabore in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken und für immer größere Teile der Bevölkerung als Alternative zum Wachstum sichtbar werden.
Darüber hinaus wird diskutiert, eine außerparlamentarische wachstumskritische Oppositionsbewegung zu gründen, um die Parteien beim Thema Wachstum stärker unter Druck setzt. Eine solche Bewegung könnte von den großen Umweltverbänden ausgehen: Diese gründen gewissermaßen “radikalere Beiboote” aus, um Probleme wieder kontroverser auf den Punkt bringen.
Die wachstumskritische Debatte wird aller Voraussicht nach weiter Fahrt aufnehmen. Dafür wird allein schon sorgen, dass weiteres Wachstum Gesellschaften entwickelter Industriestaaten nicht stabil halten kann. Obwohl BIP und Dax in Deutschland kontinuierlich steigen, bröckelt das Vertrauen in die Demokratie und öffentliche Ordnung. Hinzu kommt, dass die Endlichkeit von Ressourcen wie Bodenschätzen und fossilen Brennstoffen, die bislang der Treibstoff für unseren Wachstumsmotor waren, für alle sichtbar wird. Auch eine auf biogenen Rohstoffen beruhende Bioökonomie wird sich der Wachstumsfrage stellen müssen, denn auch fruchtbares Agrarland wird langsam knapp.
Letztendlich eröffnet Degrowth die Möglichkeit, unseren Kompass neu zu kalibrieren: Für ein solidarisches Miteinander und damit wir uns keine Erde 2.0 suchen müssen.
Die Umweltverbände sollten eine neue APO bilden.

Michael Müller
Vorsitzender NaturFreunde Deutschland
denkhausbremen e.V.
Am Wall 174
28195 Bremen
fon 0421 33048381
www.denkhausbremen.de
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Projektleitung:
Peter Gerhardt
Interviews:
Peter Gerhardt und Jonas Daldrup
Text und Redaktion:
Peter Gerhardt, Jonas Daldrup und
Michael Gerhardt
Fotoserie:
Eva-Maria Lopez | degrowth, 2017
www.evalopez.net
Interview-Fotos:
Marcus Sümnick (Niko Paech)
NABU / S. Engelhardt (Olaf Tschimpke)
BUND (Angelika Zahrnt)
WWF Deutschland (Christoph Heinrich)
NaturFreunde Deutschland (Michael Müller)
Gestaltung und Umsetzung:
Ana Rodríguez Heinlein
Jakob Grommas
Förderhinweise:
Das Projekt ›Dialogplattform Transformation‹ wird gefördert von:


Die Fotoserie ›degrowth‹ wird gefördert von:
